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Esmeraldas Rettung
01. Dezember 2013
Esmeralda, eine Pferdegeschichte aus Griechenland
(nicht alltäglich aber leider auch nicht außergewöhnlich...)
30.10.2013
Es war ein gewöhnlicher Morgen auf unserer kleinen Farm ganz in der Nähe von Thessaloniki in Nordgriechenland bis unsere Tierärztin Kleopatra Triantafyllou anrief und uns mitteilte, dass sie auf dem Weg zu einer Pferderettung sei und wir uns darauf gefasst machen sollten, einen Notfall aufzunehmen. Wenige Stunden später kletterte ein halb verhungertes, dehydriertes, geschundenes Etwas vom Hänger, lahm und mit tiefen Wunden am Hals. Mein erster Gedanke als ich diese Stute sah war: „Das schafft sie nicht!“ Sie war so schwach, dass sie sich wirklich nur in Zeitlupe bewegen konnte. Von dem Moment an, wo wir sie vorläufig zur Behandlung in unseren Roundpen gestellt hatten, bewegte sie nur noch ihre Kaumuskeln. All ihre Sinne waren auf das Heu gerichtet – alles andere war ihr völlig egal.
Esmeralda, diesen Namen haben wir ihr gegeben, ist eine ca. 4jährige Vollblutstute, die vermutlich als Zweijährige auf der Rennbahn getestet und als nicht schnell genug befunden wurde. Wie sie danach den Weg nach Thessaloniki fand, werden wir wohl nie erfahren. Gefunden wurde sie auf einer Müllhalde in einem Außenbezirk von Thessaloniki, wo sie zum Verhungern und Verdursten ausgesetzt worden war. Ein junger Mann bemerkte sie und wandte sich zunächst an eine Internetseite für misshandelte Tiere in Griechenland (www.zoosos.gr), ihn dann weiter an ESPI, die griechische Pferdehilfe-Organisation (www.greekhorseprotection.com), mit der wir zusammen arbeiten, verwiesen. ESPI informierte Kleopatra, die sich sofort auf den Weg machte. Vor Ort stellte sich dann heraus, dass ein Besitzer nicht ausfindig zu machen war. Kleo informierte die Polizei, die auch recht schnell vor Ort war, vielleicht, weil der Chef der dortigen Polizeistation ein Pferdeliebhaber ist. Zunächst hatten sie mit den örtlichen Junkies zu kämpfen, die Esmeralda partout nicht hergeben wollten, da sie so gern in ihrer Nähe waren. Das nächste Problem war nun, einen Pferdeanhänger zu finden. Wie lange Esmeralda auf dem Müllberg gefangen war wissen wir nicht. Angebunden an einem Seil, das durch zwei Autoreifen führte, bemühte sie sich genug zu fressen zu finden um am Leben zu bleiben. Die Wunden an Ihrem Hals stammen von diesen Autoreifen, die ihre Peiniger ihr um den Hals gelegt hatten um sie am Boden zu halten und sie 'unsichtbar' für eventuelle Retter zu machen. Irgendwie hat sie es geschafft, sich von den Reifen zu befreien und aufzustehen aber der Preis war hoch. Durch diesen Kampf und dass permanente Scharren, hat sie sich beide Vorderhufe ruiniert. Ihre Sohlen sind sehr abgerieben und durch das Stehen im Müll völlig verrottet.
Sobald Esmeralda bei uns auf der Farm angekommen war, ging Kleopatra ans Werk und säuberte ihre Wunden, versorgte sie mit Antibiotika und weiteren Medikamenten und stellte sicher, dass alles Notwenige für sie getan wurde. Nachdem Kleo sich nach rund zwei Stunden Behandlung auf den Weg gemacht hatte, schlief Esmeralda vor lauter Erschöpfung. Nachdem ich ihr einen provisorischen Paddock am schönsten Platz unserer Farm unter den Bäumen gebaut hatte, zog sie kurze Zeit später in ihr neues Zuhause für die nächsten Tage. Fressen durfte sie an diesem ersten Tag nur sehr wenig, da zu viel Futter auf einmal mit Sicherheit eine Kolik hervorgerufen hätte. Bereits am Nachmittag fing Esmeralda an, ein klein wenig lebhafter zu werden und wieherte jedes Mal herzzerreißend, wenn sie mich irgendwo entdeckte.
31.10.2013
Esmeralda überstand ihre erste Nacht bei uns gut. Kleo, die von nun an jeden Tag bei uns war, meinte, dass sie selten ein Pferd in so schlechter Verfassung gesehen hätte. Die ‚komische’ Decke um Ihren Hals hält die Fliegen von den Wunden fern. Nicht schön aber funktionell. Und sie ist so ein liebes, anhängliches dankbares Mädchen. Sie liebt es, ihren Kopf in meine Arme zu legen und gekrault und geküsst zu werden. Irgendwie hat man immer Angst sie zu zerbrechen, wenn man sie berührt, weil sie so zart ist. ‚Geh keine so enge Bindung mit ihr ein – du weißt, was alles passieren kann’, werde ich gewarnt, aber wir beide wissen, dass es bereits zu spät ist...
01.11.2013
Esmeralda hatte heute Morgen eine Krise und wollte nicht mehr aufstehen. Es schien, als hätte sie irgendwie aufgegeben und wollte nur noch schlafen. Kleopatra war schnell benachrichtigt, kam so schnell sie konnte und zog irgendein ‚Wundermittel’ aus ihrer Tasche, das Esmi recht schnell wieder auf die Beine brachte. Für den Rest des Tages war sie sehr munter und mümmelte ihre bereits ein wenig gewachsene Heuration mit Enthusiasmus.
02.11.2013
Unglaublich, was ein paar Tage Futter und Pflege bewirken können. Esmeralda ist bereits ein ganz anderes Pferd, als das, das am Mittwoch bei uns ankam. Sie ist viel wacher und lebhafter und ich glaube nicht, dass wir sie noch viel länger in diesem Paddock halten können, da dieser nur provisorisch mit Seilen eingezäunt ist. Sie hat bereits einen zaghaften Ausbruchsversuch gestartet, um an das grüne Gras auf der anderen Seite zu kommen. Natürlich schläft sie immer noch viel, meistens im Liegen und das Aufstehen bereitet ihr große Schwierigkeiten, da ihre Hinterhand einfach noch zu schwach ist. Sie ist wie ein neugeborenes Fohlen, das versucht auf die Beine zu kommen. Aber ihre Wunden heilen gut, und sie spricht gut auf die Antibiotika an.
03.11.2013
Kleopatra wurde heute zu einer weit entfernten Kolik gerufen und konnte erst nach Einbruch der Dunkelheit zu uns kommen. Wir mussten Esmeralda vor unserem Haupteingang behandeln, um genug Licht zu haben. Die ungewohnte Umgebung beunruhigte Esmi und veranlasste sie tatsächlich dazu, einmal kurz zu steigen. Wir haben uns sehr gefreut, dass sie schon kräftig genug dafür ist. Kleo kommt nur noch jeden zweiten Tag – jetzt übernehmen wir einen Teil der ärztlichen Versorgung.
04.- 06.11.2013
Jeden Tag ein wenig mehr Heu, jeden Tag wird die Bindung ein wenig enger und die Wunden ein wenig kleiner. Esmeralda gehört bereits zur Familie und wir können uns gar nicht mehr erinnern, wie es ohne sie war.
07.11.2013
Esmeralda ist plötzlich sehr lahm auf ihrem rechten Vorderbein. Ihr Körper hat sich jetzt so weit von dem Dauerschock erholt, dass er auch andere Schmerzen wahrnimmt und sich nicht nur auf die Lebenserhaltung besinnt. An beiden Vorderhufen ist so gut wie keine Hornsubstanz mehr vorhanden und die Füße stinken ganz fürchterlich. Kleo schneidet die verrotteten Anteile weg und wir legen Verbände mit Betadin und Windeln zur Polsterung an, die nun auch täglich gewechselt werden müssen.
08.11.2013
Esmeralda ist heute in den Roundpen gezogen, da die Seile um ihren Paddock ihr nicht mehr standhalten konnten. Sie ist zwar immer noch sehr lahm, ist aber glücklich den anderen Pferden nun deutlich näher zu sein. Außerdem hat sie sich zum Vielfraß entwickelt und bekommt nun zusätzlich zum Heu hochwertiges Biotin, das sie mit Begeisterung frisst. Unser Heu ist eine Mischung aus normalem Heu und Alfalfa. Daher konnten wir bis dato nicht ganz sicher sein, ob die Lahmheit eventuell von einer Hufrehe kommen könnte. Nun haben wir Stroh besorgt und in einem Heunetz dazu gemischt. Jeder einzelne Strohhalm war am Ende noch im Netz und Esmi extrem ungehalten, dass wir es wagen, ihr so minderwertiges Futter unterzujubeln...
10.11.2013
Heute haben wir mal wieder ein paar neue Fotos von den Wunden gemacht, die schon viel besser aussehen. Für Dienstag hat Esmeralda einen Termin zum Röntgen um Gewissheit über den Zustand ihres rechten Vorderfußes zu bekommen.
12.11.2013
Das Röntgenbild zeigt, dass Esmeralda eine chronische Hufrehe mit einer leichten Hufbeinabsenkung hat aber Kleo ist zuversichtlich, dass wir sie wieder hinbekommen. Bis auf weiteres sorgen wir mit weiteren täglichen Windelverbänden dafür, dass das Hufhorn nachwachsen kann. Und es ist eigentlich unglaublich, aber Esmi beginnt, etwas Fleisch am Popo zu bekommen. Nach wie vor ist sie sehr kooperativ bei der Behandlung und wenn es gerade nichts zu fressen gibt, möchte sie schmusen.
13.- 19.11.2013
Fressen, behandelt werden, schmusen, schlafen - Fressen, behandelt werden, schmusen, schlafen...
20.11.2013
Selbst wir sind wirklich erstaunt, wie schnell Esmis Wunden jetzt heilen – der Unterschied zu den letzten Bildern von vor 10 Tagen ist riesig!
24.11.2013
Kleos Gesicht strahlte heute Morgen, als sie mir mitteilte, dass sie gute Neuigkeiten hätte. In den letzten Tagen hatten wir immer wieder überlegt, wie wir Esmeralda besser bei der Heilung ihrer Vorderhufe helfen können. Hufschuhe waren eine Option aber die sind in Griechenland fast nicht zu bekommen und wenn, dann nur sehr teuer. Sie hat auch Giannis Brastianos, unseren Schmied, der sich ebenfalls für ESPI engagiert, um Rat gefragt und nun war er auf dem Weg zu uns, um Esmi ein paar orthopädische Hufeisen anzupassen. Mit viel Fantasie bastelte er eine Konstruktion, die es ermöglicht unter dem Huf eine Klappe zu öffnen, um ihn zu reinigen und die Heillösung aufzutragen. Esmeralda machte alles mit als hätte sie nie etwas anderes getan und als wir sie dann mit den neuen Schuhen laufen sahen, hatten wir alle einen großen Moment den Glücks und der Dankbarkeit. Sie lahmte kaum und Giannis denkt, dass ihre Hufprobleme in etwa 4 bis 6 Wochen überstanden seien. Dieses wundervolle Pferd hat unser aller Leben bereichert und wir werden alles dafür tun, dass sie bald wieder ganz gesund und in einem guten Futterzustand ist. Sie verdient das Beste und sie gibt so viel zurück. Ich denke, auf den Bildern kann man auch ganz gut erkennen, dass sie schon einige Kilos zugenommen hat.
Rosa Roussou, die Vorsitzende von ESPI, die mit ganzem Herzen für die Tiere kämpft, bat mich, auch ihre Meinung einzubringen. Sie sieht die freiwilligen Helfer, angefangen von dem jungen Mann, der Esmeralda gemeldet hat, Kleopatra die Tierärztin, Giannis den Schmied, die beide mit vollem Einsatz dabei sind und uns, Giannis Gkesios und Ariane Paetz, die Esmi täglich versorgen und ihre unbegrenzte Liebe und Zuwendung geben sowie alle anderen Freiwilligen als wichtigste Stützen der Organisation. Wir arbeiten ohne Honorar und ESPI übernimmt alle Kosten für Medikamente, Materialien Futter etc. und kümmert sich um die gesetzliche Seite. Das heißt: Sie versuchen in Zusammenarbeit mit der Polizei und den Behörden die Besitzer ausfindig zu machen und zur Rechenschaft zu ziehen. Rosa wünscht sich, dass es Gesetz wird, jedes Pferd zu chipen und zu registrieren.
Oftmals ist die Hufpflege katastrophal, Missstände werden nicht erkannt bzw. ignoriert. Die EU-Gesetze müssen überall in Europa gleich angewandt bzw. strenger gemacht werden, so Rosa. Hier in Griechenland wäre uns so unendlich geholfen, wenn solche Fälle wie Esmeralda - die alles andere als Einzelfälle sind - zumindest von der Öffentlichkeit bemerkt und angezeigt werden würden, damit wir aktiv werden können aber leider ignorieren viele Menschen diese Missstände einfach, zumal es hier auch einigen Aufwand bedarf, um etwas zu bewirken.
Sollte Esmeralda wieder ganz gesund werden, werden wir in Zusammenarbeit mit ESPI versuchen ein gutes Zuhause für sie zu finden. Sie würde dann mit Schutzvertrag abgegeben werden - der Platz wird überprüft. Sollte sie sich nicht vollständig erholen, wird Sie wohl bei uns bleiben.
Ein Wort zum Abschluss: die Arbeit mit solchen Pferden ist pures Seelenfutter – sie geben so unendlich viel zurück. Ich sehe mich als extrem glücklich und gesegnet an, dass ich die Möglichkeit habe, zu helfen. Wenn unsere Geschichte auch anderen Pferden auf irgendeine Art und Weise helfen kann, wäre das ganz wundervoll!
Danke für alles,
Ariane Paetz